Regie: Sudabeh Mortezai
Original-Titel: Europa
Erscheinungsjahr: 2023
Genre: Drama, Politfilm
IMDB-Link: Europa
Die fiktive Organisation EUROPA verteilt in Albanien großzügig Stipendien an Studierende aus sozial schwächeren Schichten und bietet Dorfbewohnern in entlegenen Gegenden viel Geld für ihr Grundstück, um ihnen ein besseres Leben zu ermöglichen. Klingt zu schön, um wahr zu sein? Willkommen in Sudabeh Mortezais Europa, das die europäische Gemeinschaft heraufbeschwört und unter diesem Mäntelchen neoliberale, kapitalistische Interessen verbirgt. Verkörpert wird dieses doppelte Spiel von der deutschen Managerin Beate Winter (Lilith Stangenberg), die den albanischen Dorfbewohnern ihr Land abknöpfen soll. Sie versucht dies mit viel Zureden, mit freundlich-aufgesetzter Mimik, mit dem einen oder anderen Schluck Raki, den sie aus gutem Willen mit ihren Gesprächspartnern trinkt, doch stoßen hier zwei Welten aufeinander: Eine sehr traditionelle, auf religiösen und familiären Werten fußende, die nur die eigenen Nöte des Überlebens kennt, und die großkapitalistische, in der man meint, mit Geld oder Gewalt oder beidem alles erreichen zu können. Das Machtgefälle ist groß, und doch entspinnt sich zunächst ein zähes Ringen um Land und Boden. „Europa“ ist Kapitalismuskritik und ein zutiefst politischer Film, der sein Anliegen aber im Kleinen verarbeitet und sichtbar macht. Hier wird ein Stellvertreterkrieg geführt. Mortezais Arbeitsweise ist eine gesonderte Erwähnung wert: Auf die renommierte Darstellerin Stangenberg trafen fast ausschließlich Laiendarsteller:innen aus der Region, die nicht einmal das Drehbuch zu lesen bekamen, sondern in den Szenen improvisierten. Diese Kluft aus der Arbeitsweise heraus überträgt sich auf die Figuren, wobei es Stangenberg gelingt, ihrer starren Figur, die so sichtbar eine Rolle spielt, in der sie sich auch immer wieder mal unwohl fühlt, eine Brüchigkeit zu verleihen, die das Spiel mit den Rollen umso deutlicher hervortreten lässt. In diesem Sinne betrachtet „Europa“ auch die Zwänge, die in führenden Positionen großer Unternehmen oder Organisationen existieren. Ein spröder, aber ungemein genau beobachteter und stringent erzählter Film.

6,5 Kürbisse
(Foto: (c) Viennale)
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