Dokumentation

Stories We Tell (2012)

Regie: Sarah Polley
Original-Titel: Stories We Tell
Erscheinungsjahr: 2012
Genre: Dokumentation
IMDB-Link: Stories We Tell


Sarah Polley lässt Familienmitglieder die Geschichte ihrer Familie und jene über ihre früh an Krebs verstorbene Mutter erzählen. Das ist „Stories We Tell“. Und was sich jetzt so fürchterlich banal anhört, im schlimmsten Fall sogar wie eine grausame Bauchnabelschau voller Selbstmitleid und Pathos, entpuppt sich als irrsinnig kluge, vielschichtige, hochgradig spannende und komplexe Geschichte über Geheimnisse und Wahrheiten, über die Liebe und die Lügen, die wir der Liebe zu Willen auf uns nehmen, über Sehnsüchte und die Unfähigkeit, diese manchmal zum Ausdruck zu bringen – und nicht zuletzt über die Erinnerungen, die wir in uns tragen, und die oft sehr subjektiv geformt ist von unserer eigenen Perspektive. Die Genialität von Sarah Polley liegt darin, alle Beteiligten, die Erinnerungen an ihre Mutter mitbringen, gleichermaßen zu Wort kommen zu lassen in sehr persönlichen Interviews, die per se schon unter die Haut gehen, in der Summe und den kleinen Widersprüchlichkeiten, die es zu entdecken gibt, aber das Bild einer Familie formen, wie man es selten, vielleicht sogar noch nie gesehen hat. Da sich ab einem bestimmten Punkt des Films alles um Sarah Polley selbst dreht, die Filmemacherin also zum Subjekt ihres eigenen Films wird und sie nicht davor zurückscheut, weiterhin einfach draufzuhalten, egal, wie aufwühlend das Gesagte für sie auch sein mag, spricht ebenfalls für Sarah Polley, einer sensiblen Ausnahmekünstlerin unserer Zeit. Für diesen Film brauchte es eine extragroße Portion Mut von allen Beteiligten und vor allem von Polley selbst. Herausgekommen ist ein intimes Meisterwerk, das vielleicht gelegentlich ein paar Längen aufweist und in der Form auch recht starr ist, aber definitiv aufrührt und den Zuseher gebannt am Bildschirm kleben lässt.


8,5
von 10 Kürbissen

Auf der Suche nach Ingmar Bergman (2018)

Regie: Margarethe von Trotta
Original-Titel: Auf der Suche nach Ingmar Bergman
Erscheinungsjahr: 2018
Genre: Dokumentation
IMDB-Link: Auf der Suche nach Ingmar Bergman


Unbestritten ist Ingmar Bergman einer der bedeutendsten Filmemacher der Geschichte. Und auch ich finde viele seiner Filme grandios – allen voran „Das siebente Siegel“ und „Wilde Erdbeeren“. Gleichzeitig wusste ich bislang wenig von seinem Leben und seiner Herangehensweise an den Filmdreh. So begab ich mich also gern mit Margarethe von Trotta auf die Suche nach Ingmar Bergman. In Interviews mit Zeitgenossen, Familienmitgliedern oder Menschen, die sich zumindest intensiv mit Bergman auseinandergesetzt haben (darunter u.a. die Filmemacher Olivier Assayas, Ruben Östlund und Mia Hansen-Løve) spürt Margarethe von Trotta dem großen schwedischen Regisseur nach. Dabei werden Einblicke gewährt sowohl in seine Arbeitsweise als auch sein Privatleben. Mir war zum Beispiel nicht bekannt, dass Bergman ein ganzes Rudel von Kindern hatte mit unterschiedlichen Frauen – und dass er alles Andere als ein vorzeigbarer Familienvater war. Allerdings krankt von Trottas Dokumentation an zwei Problemen: Zum einen werden immer nur bestimmte Schlaglichter gesetzt, je nachdem, was der Gesprächspartner oder die Gesprächspartnerin zu erzählen hat, was dazu führt, dass viele Aspekte, die den Menschen und Filmschaffenden Bergman ausmachen, zwar kurz angerissen werden, es aber nie in die Tiefe geht, man daher Bergman nicht wirklich näher kommt. Ein Problem vieler Dokumentar-Porträts. Zum anderen fällt Margarethe von Trotta selbst in den Interviews immer wieder unangenehm auf, wenn sie die Sätze ihre Interviewpartner unterbricht und deren Sätze beendet – oder ihnen sogar widerspricht. Es scheint so, als würde von Trotta der Welt zeigen wollen, dass eigentlich nur sie selbst die Bergman-Kennerin ist und ihn besser versteht als alle anderen. Und natürlich – sie kann gerne ihre subjektive Sicht einbringen, aber wenn sie dann beispielsweise Bergmans eigenen Söhnen auf diese Weise dazwischen fährt, wirkt das nur noch affektiert und peinlich. Hier hätte es deutlich mehr Zurückhaltung gebraucht.


5,0
von 10 Kürbissen

(Foto: Filmladen Filmverleih)

Peter Handke – Bin im Wald. Kann sein, dass ich mich verspäte … (2016)

Regie: Corinna Belz
Original-Titel: Peter Handke – Bin im Wald. Kann sein, dass ich mich verspäte …
Erscheinungsjahr: 2016
Genre: Dokumentation
IMDB-Link: Peter Handke – Bin im Wald. Kann sein, dass ich mich verspäte …


Zugegeben, ich bin kein Handke-Kenner. Einige Bücher aus seinem umfangreichen Werk habe ich zwar gelesen (zuletzt „Die Obstdiebin“), aber das qualifiziert mich noch nicht zum Experten, und mit Handke als Person habe ich mich bislang nur am Rande beschäftigt. Aber auch gerade deshalb, weil ich bisher so wenig über ihn wusste mit Ausnahme der Schlagzeilen zu den großen Kontroversen, hat mich diese Doku über den Schriftsteller interessiert. Corinna Belz ist es dabei gelungen, eine intime Atmosphäre in Handkes Haus in Frankreich aufzubauen, in der sich eine vertrauliche und von Offenheit zeugende Gesprächskultur entwickelte. Unterbrochen sind Handkes Reflexionen zu Sprache, Fiktion, Erzählung, Lebensweise und -lust immer wieder durch alte Polaroids und Archivaufnahmen von Interviews. Schade ist allerdings, dass zum einen der Familienmensch Handke trotz aller Versuche, sich ihm zu nähern, kaum greifbar wird, und zum anderen auch nicht die Gelegenheit genutzt wird, Handke mehr über sein langes und ereignisreiches Leben reflektieren zu lassen. Nicht, dass ich es auf eine Art Lebensfazit abgesehen hätte (das Handke selbst mit Sicherheit verweigert hätte), aber so bleiben die Betrachtungen zu vage in meinen Augen, intime Momentaufnahmen, die aber zu selten auf ein großes Ganzes verweisen. Trotz aller Intimität bleibt mir Handke als Mensch dennoch fremd. Doch vielleicht war ja auch genau das seine Absicht, als er sich auf die Dokumentation eingelassen hat.

 


5,5
von 10 Kürbissen

(Foto: Stadtkino Filmverleih)

Weiner (2016)

Regie: Josh Kriegman und Elyse Steinberg
Original-Titel: Weiner
Erscheinungsjahr: 2016
Genre: Dokumentation
IMDB-Link: Weiner


Anthony Weiner war ein aufstrebender und streitbarer Kongressabgeordneter der Demokratischen Partei. Seine Karriere geriet ins Stocken, als herauskam, dass er ein Foto seines … Wieners … an eine junge Dame verschickt hatte, die nicht identisch war mit seiner Frau. Er tritt zurück. Gut, jeder macht mal einen Fehler, seine Frau hat ihm vergeben, die Öffentlichkeit kann es auch, also startet er zwei Jahre später überraschend erfolgreich eine Kampagne, um Bürgermeister von New York zu werden. Die Umfragen sehen ihn zeitweise sogar auf Platz 1. Doch dann … na ja, der Mann kann es einfach nicht lassen. Klingt wie eine bissige Politiksatire, ist aber, und jetzt kommt’s, eine wunderbare Dokumentation realer Ereignisse. Gleich zu Beginn des schreiend komischen Films sieht man Anthony Weiner, wie er kopfschüttelnd und mehr zu sich selbst als in die Kamera sagt: „Das ist der Tiefpunkt. Ich mache eine verdammte Dokumentation über meinen Sexskandal.“ Zwei Dinge machen diese Doku zu etwas ganz besonderem: Zum einen die Intimität der Aufnahmen, die selbst das Familienleben mit seiner Frau Huma, engste Beraterin von Hillary Clinton, und seinem Sohn zeigen, und die Person Anthony Weiner selbst. Ein charismatischer und authentischer Politiker, der eben nicht mit allen Wassern gewaschen ist, im Grunde eigentlich sympathisch, voller Elan und toller Pläne, witzig, selbstironisch, aber mit dem Problem, dass er weder den Mund noch den Hosenstall zumachen kann, wenn es angebracht erscheint. Zum Zeitpunkt des Erscheinens der Dokumentation im Rahmen der Viennale 2016 hätte ich mir durchaus vorstellen können, dass ich ihn trotz allem hätte wählen können, wäre ich denn wahlberechtigt gewesen. Aber nun der tragische Appendix der ganzen Geschichte: Ende 2017 wurde er wegen Sexting mit einer Minderjährigen zu fast zwei Jahren Gefängnis verdonnert. Die Abgründe sind oft noch tiefer, als sie auf den ersten Blick erscheinen. Dennoch: „Weiner“ ist eine wirklich großartige Dokumentation (vielleicht eine der besten der letzten Jahre) über menschliche Schwächen und die Rolle der Medien, wenn es die Schwächen von Prominenten betrifft, die zu Tage gefördert werden.


8,0
von 10 Kürbissen

Meru (2015)

Regie: Jimmy Chin und Elizabeth Chai Vasarhelyi
Original-Titel: Meru
Erscheinungsjahr: 2015
Genre: Dokumentation
IMDB-Link: Meru


Im Himalaya gibt es bekanntermaßen hohe Berge. Und immer wieder findet man dort Verrückte, die versuchen, da hinaufzukraxeln. Der Dokumentarfilm „Meru“ erzählt die Geschichte dreier Verrückter. Conrad Anker, Jimmy Chin und Renan Ozturk wollen etwas schaffen, was noch keinem gelungen ist: Die „Haifischflosse“ des 6.600 Meter hohen Meru über den Nordwestrand besteigen. Das heißt, dass die drei Wahnsinnigen über eine Woche oder länger eine fast senkrechte, babypopoglatte Wand hinaufhirschen inklusive Biwakierung in eben jener Wand. Das Zelt wird quasi in der Wand aufgehängt und man baumelt dann fröhlich über tausende Meter tiefe Abgründe. Ja, wer’s mag … Der erste Versuch endet nicht so fröhlich, denn knapp unterm Gipfel ist Schluss mit Proviant, Kräften und Möglichkeiten. Aber wie wir aus ähnlich gelagerten Filmen wissen: Das ist nicht das Ende der Geschichte. Und in der Zwischenzeit muss noch Dramatisches passieren, ehe sich die drei wagemutigen Freunde noch einmal an der Wand versuchen können. In Interviews (unter anderem mit Jon Krakauer) wird die Motivation der drei Freunde, sich dieser fast unmöglichen Herausforderung zu stellen, beleuchtet. Richtig gut ist der Film aber vor allem dann, wenn man hautnah am Geschehen dabei ist. Zu verdanken ist das Jimmy Chin, der den Aufstieg stets mitgefilmt hat. Und hier wird klar, welch übermenschlichen Anstrengungen hinter einer solchen Unternehmung stecken. Leider wird zwar immer wieder die Motivation der drei angeschnitten, aber nicht wirklich durchleuchtet. Zu sehr mag der Film seine drei Helden, und die Begründung für das Risiko, das sie eingehen, fällt vielleicht aus neutraler Sicht, wenn man da unten in der Tiefe des Wiener Beckens hockt, etwas zu lapidar aus. Aber verstehen kann man diese Typen vielleicht ohnehin nie.

(Dieser Film ist als Reiseetappe # 32 Teil meiner Filmreisechallenge 2018. Mehr darüber hier.)


6,5
von 10 Kürbissen

Lotte Reiniger – Tanz der Schatten (2012)

Regie: Rada Bieberstein, Susanne Marschall und Kurt Schneider
Original-Titel: Lotte Reiniger – Tanz der Schatten
Erscheinungsjahr: 2012
Genre: Dokumentation
IMDB-Link: Lotte Reiniger – Tanz der Schatten


Lotte Reinigers Meisterwerk „Die Abenteuer des Prinzen Achmed“ war einer der ersten abendfüllenden Trickfilme der Filmgeschichte und ist heute noch wegweisend für Trickfilmtechnik. In „Lotte Reiniger – Tanz der Schatten“ wird die Geschichte dieser bemerkenswerten Filmpionierin erzählt. Mit einfacher Scherenschnitttechnik und einem Übermaß an Fantasie schuf sie zeitlose Animationen mit viel Seele und Herz. Die Dokumentation beleuchtet dabei sowohl ihre Arbeit als auch ihren Lebensweg. Beides allerdings leider arg zusammengedampft und nicht in die Tiefe gehend. Die Stationen ihres Lebens werden in einer recht trockenen Montage herunter erzählt. Mich hätte noch viel mehr interessiert, was diese Frau selbst zu sagen hat über ihre Motivation, ihre Ideen, die Herkunft ihrer Kreativität, die man jedem Schnitt anmerkt. Leider scheint es dafür nicht ausreichend Archivmaterial mit Interviews der 1981 verstorbenen Filmemacherin zu geben. Und die Aussagen von Wegbegleitern, Biographen und Museumskuratoren bleiben oberflächlich und dienen kaum dazu, das Bild, das sich der Zuseher von Lotte Reiniger macht, zu schärfen. So ist diese Dokumentation seltsam kühl anzusehen, fast wie ein Lehrstück, das man im Unterricht gelangweilten Schülern vorführt. Natürlich bleibt der Film inhaltlich interessant, weil Lotte Reiniger selbst eine interessante Frau war – aber man muss sich damit abfinden, dass das Bild oberflächlich bleibt, und Lotte Reiniger selbst am besten wohl wirklich durch ihre Filme entdeckt werden kann.


5,5
von 10 Kürbissen

https://www.youtube.com/watch?v=OVl_gH45gus

Augenblicke: Gesichter einer Reise (2017)

Regie: Agnès Varda und JR
Original-Titel: Visages Villages
Erscheinungsjahr: 2017
Genre: Dokumentation
IMDB-Link: Visages Villages


Die 89jährige Agnès Varda ist sozusagen die Grand Dame der französischen Nouvelle Vague, JR ein 33jähriger Fotokünstler, der großflächige Schwarzweißfotos auf Mauern klebt. Gemeinsam macht sich dieses unwahrscheinliche Paar auf eine Reise durch die Dörfer Frankreichs, um mit den Menschen zu sprechen und ihre Bilder zu verewigen. Das klingt erst einmal nicht unbedingt nach einem besonders spannenden Thema für einen Dokumentationsfilm, doch je länger der Film dauert, desto klarer wird, worum es in „Visages Villages“ eigentlich geht. Nämlich um die Neugier aufs Leben, auf die Geschichten, die jeder von uns zu erzählen hat, es geht um die Fähigkeit, genau hinzusehen und vor allem um die Freundschaft. Denn zwischen dem jungen, stets mit Hut und Sonnenbrille gekleideten Fotografen und der kleinen, alten Dame mit dem verschmitzten Lächeln entwickelt sich eine überraschend enge Beziehung mit viel Verständnis füreinander und Interesse am Gegenüber. Die beiden gehen sehr herzlich und vertraut miteinander um, der Altersunterschied und die unterschiedlichen Erfahrungen, die sie im Leben gemacht haben, rücken in den Hintergrund. Dazu kommen die Geschichten, die sie auf ihrer Fahrt durch das Land erfahren. Ob die letzte Bewohnerin einer Siedlung, die abgerissen werden soll, oder die Ehefrauen von Hafenarbeitern im Streik, oder die Nachkommen von Minenarbeitern – ihre Geschichten mögen unspektakulär sein, aber durch die konzentrierte Anteilnahme von Varda und JR bekommen sie die Bedeutung, die sie verdienen. Es geht hier um nicht mehr und nicht weniger als das Menschsein, um die kleinen Momente, wenn man erkennt, dass jedes Leben wertvoll und voller Bedeutung ist, die getragen wird von den Begegnungen, die wir unterwegs haben. Agnès Varda und JR leben das in ihrem wunderschönen Film vor.


8,0
von 10 Kürbissen

(Foto: Filmladen)

Triumph des Willens (1935)

Regie: Leni Riefenstahl
Original-Titel: Triumph des Willens
Erscheinungsjahr: 1935
Genre: Dokumentation, Propagandafilm
IMDB-Link: Triumph des Willens


Aus der Reihe „Filme, die ich mir angesehen habe, damit ihr sie nicht ansehen müsst“: Leni Riefenstahls Propagandafilm „Triumph des Willens“, der den Reichsparteitag 1934 nutzt, um Hitler und die NSDAP ins rechte Licht zu rücken. Warum sieht man sich zwei Stunden lang Nazi-Propaganda an? Nun, zum einen deckt der Film tatsächlich eine Aufgabe der Filmreisechallenge ab, zum anderen gehört er zu den einflussreichsten Filmen des 20. Jahrhunderts, da viele technische und handwerkliche Aspekte wegweisend für weitere Filme waren. Selbst George Lucas hat sich für „Krieg der Sterne“ von der Ästhetik des Films inspirieren lassen. Filmhistorisch gesehen ist also Leni Riefenstahls „Triumph des Willens“ durchaus von Bedeutung. Gleichzeitig interessierte mich die Frage, wie ich selbst aus heutiger Sicht einen solchen Propagandafilm aufnehmen würde, mit welchen Methoden und Bildern damals gearbeitet wurde, um Menschen zu manipulieren, und was diese Bilder mit mir selbst machen würden. Und ja, es war interessant zu sehen, wie sich die NSDAP in diesem Film selbst inszenierte und verherrlichte – und man kann durchaus Parallelen zu Inszenierungen und Worthülsen heutiger Rechtspopulisten ziehen. Von daher gehört der Film eigentlich – von einem fachkundigen Lehrer mitkommentiert – in jeden Geschichtsunterricht aufgenommen. Auch wenn plumpe Propaganda wie in „Triumph des Willens“ so heute nicht mehr funktionieren würde, lassen sich gewisse Mechanismen in einer subtileren Weise auch heute noch entdecken, wenn man genau hinsieht. Mitunter ist „Triumph des Willens“ aber auch eine sehr ermüdende Angelegenheit, vor allem, wenn die Wehrmacht in einer Parade eine halbe Stunde lang am Führer vorbeitanzt (an dem Punkt habe ich mich gefragt, ob sich der Adi dabei genauso gelangweilt hat wie ich). Und über den Inhalt der Reden kann man getrost den Mantel des Schweigens breiten. Mit dem Wissen der heutigen Zeit lassen sich zwischen den Zeilen vielleicht noch interessante Andeutungen und Androhungen der Schrecken, die drei Jahre später Realität wurden, herauslesen, aber ansonsten ist das alles der übliche Nazi-Dreck á la „niemand kann uns aufhalten“. Insgesamt ist „Triumph des Willens“ eine ambivalente Geschichte: Technisch und handwerklich sicherlich herausragend, inhaltlich übelster Propagandamist, den man kaum zwei Stunden lang ohne gröbere Schmerzen durchhalten kann. So kommt dann auch meine Bewertung zustande (und die „Auszeichnung“, als einziger Film keine Bewertung zu erhalten, wollte ich diesem Mist nicht gönnen). Die 3 Kürbisse bekommt der Film ausschließlich für seine bahnbrechenden Kamerafahrten und innovativen Beleuchtungskonzepte. Auf den hier üblichen eingebetteten Trailer verzichte ich an dieser Stelle im Übrigen – aber ein Ausschnitt aus einer der bekanntesten Reden Hitlers aus dem Film darf es schon sein.

(Dieser Film ist als Reiseetappe # 13 Teil meiner Filmreisechallenge 2018. Mehr darüber hier.)


3,0
von 10 Kürbissen

https://www.youtube.com/watch?v=vuQfQvtLE2A

Namrud (Troublemaker) (2017)

Regie: Fernando Romero-Forsthuber
Original-Titel: Namrud (Troublemaker)
Erscheinungsjahr: 2017
Genre: Dokumentation
IMDB-Link: Namrud (Troublemaker)


Nach „Lucica und ihre Kinder“ und „A Woman Captured“ war „Namrud (Troublemaker“ nun der dritte Dokumentarfilm in Folge, in dem die persönliche Beziehung zwischen  dem Filmschaffenden und der gefilmten/porträtierten Person dem Film eine zusätzliche Komponente hinzufügt. Jowan Safadi, der Held von Fernando Romero-Forsthubers Film, ist nämlich ein guter Freund des Filmemachers. Dieser hat den Palästinenser Jowan in seiner Heimat Haifa besucht. Jowan gehört der arabischen Minderheit des Landes an. Mit seiner Musik versucht er, die Alltagsdiskriminierung, die dem Volk der Palästinenser widerfährt, aufzuzeigen und gleichzeitig aber auch Brücken zu schlagen. Ein Song, den er auf Hebräisch veröffentlicht und in dem er die jüdische Bevölkerung direkt adressiert, sorgt für einigen Wirbel. Der Film zeichnet die Entstehungsgeschichte des Songs bis zu einem Konzert in Jerusalem nach. Gleichzeitig zeigt Romero-Forsthuber aber auch die Beziehung zwischen Jowan und seinem Sohn Don, der lange Zeit in den USA gelebt hat. Sowohl Jowan als auch Don sind progressive, weltoffene Menschen, die gerne die Restriktionen, die durch Nationalismus in unserer Gesellschaft entstehen, überwinden möchten, die aber aus ihrer eigenen persönlichen Lebenserfahrung heraus knapp davor stehen, zu resignieren. „Palästina ist tot“, meint einmal Don bei einem Strandspaziergang. Und wenn man sich die verhärteten Fronten im Nahen Osten ansieht, glaubt zu begreifen, wie ein unmittelbar Betroffener zu dieser Einschätzung kommt. Jowan weiß, dass seine Musik nicht viel ändern wird, aber sie ist sein Mittel, um mit den Umständen zurecht zu kommen, um sein eigenes, persönliches Zeichen zu setzen. Das alles ist durchaus interessant – da sowohl der Riss durch die Gesellschaft spürbar gemacht wird als auch die Momente gezeigt werden, in denen die Menschen zusammenfinden – und wenn es auch nur für einen Abend bei einem Konzert ist. Allerdings ist der Film durch seinen engen Fokus auf Jowan recht einseitig. Es wird die Gemeinschaft der arabischen Palästinenser gezeigt – weniger aber das direkte Zusammenleben, die Repressalien des Alltags, auch kommen keine jüdischen Stimmen zu Wort. So ist „Namrud (Troublemaker)“ ein interessantes Künstlerporträt, aber nicht unbedingt ein Film, der den Konflikt in Israel breiter beleuchtet.


6,0
von 10 Kürbissen

(Foto: CROSSING EUROPE Filmfestival Linz)

A Woman Captured (2017)

Regie: Bernadett Tuza-Ritter
Original-Titel: A Woman Captured
Erscheinungsjahr: 2017
Genre: Dokumentation
IMDB-Link: A Woman Captured


Ich konnte ja bislang auf dem Crossing Europe Festival schon einige gute Filme sehen, aber der Film, der wohl am meisten hängenbleiben wird, ist die Dokumentation „A Woman Captured“ von Bernadett Tuza-Ritter. Eigentlich wollte Tuza-Ritter für ihr Filmstudium nur eine fünfminütige Dokumentation über einen Tag einer beliebigen Person drehen. Sie wusste, dass eine ihr bekannte Familie Haushälter beschäftigen würde – und so hatte sie die Idee, Marish, eine der Haushälterinnen, zu porträtieren. Während des Filmens stellte sie aber fest, dass etwas im Argen lag. Marish bekam keinen Lohn, ihr Pass und ihre ID waren von der Familie eingezogen worden, und sie erzählte von körperlichem Missbrauch. Unter der Bedingung, dass nur Marish zu sehen sein würde, und im Glauben, dass es sich immer noch um eine unverfängliche Darstellung eines normalen Arbeitstages handeln würde, willigten Eta und ihre Familie ein, dass Tuza-Ritter weiterdrehen durfte. Insgesamt 1,5 Jahre verbrachte sie mit Marish, und aus dem Kurzporträt der Frau wurde eine erdrückende Dokumentation über moderne Sklaverei und die wiederum zu einer Geschichte über eine Befreiung – möglich nur dank der Unterstützung von Tuza-Ritter, die Marish die ganze Zeit über beistand. Denn schon sehr früh in dieser Arbeitsbeziehung, die sich bald zu einer Freundschaft ausweitete, wusste Tuza-Ritter, dass sie die wichtigsten Regeln des Dokumentarfilmens, nämlich unbeteiligt und objektiv zu bleiben, außer acht lassen würde, um der Frau zu helfen. Zumal es die Behörden im Land nicht taten, denen solche Probleme zwar bekannt sind, die sie aber ignorieren. Heute noch leben laut Tuza-Ritter 22.000 Menschen in Ungarn in einem der Sklaverei ähnlichen Abhängigkeitsverhältnis und 1,2 Millionen innerhalb der Europäischen Union. Auch in Österreich gibt es laut dem Global Slavery Index immerhin 1.500 Menschen, die als moderne Sklaven arbeiten. „A Woman Captured“ ist ein aufrüttelndes Plädoyer dafür, sich diesem Problem endlich zu stellen. Gleichzeitig ist der Film ein einfühlsames Porträt einer unglaublich starken Frau, die von einem Leben in Terror zwar gezeichnet ist (die 53jährige sieht mindestens zwanzig Jahre älter aus), aber die dennoch ihren Lebensmut und ihren Humor nicht verloren hat. Die Szenen, in denen Tuza-Ritter Marish (die eigentlich Edit heißt, wie sie zu diesem Zeitpunkt erklärt – Marish war ihr Sklavenname, den ihr Eta gegeben hat) auf der Flucht und auf dem Weg in die Freiheit begleitet, möchte man eigentlich durchgehend bejubeln und beklatschen. Es macht sicherlich keine Freude, den Film anzusehen, zu sehr geht das Thema, geht das Schicksals von Marish an die Nieren, aber ich kann ihn uneingeschränkt empfehlen.


8,5
von 10 Kürbissen

(Foto: CROSSING EUROPE Filmfestival Linz)

https://www.youtube.com/watch?v=Da9-_49p8dw